Brett-/Kartenspiel,  Reviews

Review: Marvel – Contest of Champions: Battlerealm – Helden ohne Balancing

Mit einem grob King of Tokyo ähnlichem Spielprinzip, aber weitaus mehr Abwechslung und Sonderregeln will das Würfelspiel zu einer Handy-App überzeugen. 13 Helden, 40 Orte, für bis zu 6 Spielende – klingt erstmal gut. Aber spielerisch leider ein unausgewogenes Debakel.

Dieses Spiel wurde privat angeschafft. Es gehört nicht zu unserem Fundus an Spielen, welche wir auf Events supporten.

Thematik

Das Spiel basiert auf der Handy App Marvel – Contest of Champions. Im vorliegendem Brett-/Würfelspiel geht es inhaltlich darum, sich zu bekämpfen. Der Collector hat unter dem Einfluss von ISO-8 Helden beschworen, die sich nun in einem epischen Kampf schlagen sollen. Tiefer geht die Story nicht, aber für einen Superhelden-Brawl reicht das ja völlig aus.

Die Anleitung ist schön bunt – aber nicht sonderlich gut

Enthalten sind immerhin dreizehn bekannte und teils etwas weniger bekannte Charaktere aus der Marvel-Welt:

  • Ant Man
  • Black Panther
  • Black Widow
  • Captain America
  • Captain Marvel
  • Civil Warrior
  • Falcon
  • Guillotine
  • Hawkeye
  • Hulk
  • Iron Man
  • Thor
  • Vision

Spielmaterial

De Charakterkarten aka PVP-Tracker sind ziemlich schick
De Charakterkarten aka PVP-Tracker sind ziemlich schick

Wenn man etwas positives sagen kann, dann wohl über das Spielmaterial. Zu jedem Helden gibt es eine „Charakterkarte“, die tatsächlich aber zugleich auch ein Tracker ist, mitsamt Rad zum Drehen – bereits fertig zusammengesetzt im Karton. Statt Kartenmaterial aus stabiler Pappe und mit 12 x 9,5 cm auch größer als man es bei echten Karten kennt. Neben Namen und Charakterbild befindet sich die einzigartige Primary Power ebenso darauf wie die jeweils drei Sonderfähigkeiten (die nicht einzigartig sind und auf der Karte nicht näher beschrieben werden).

Beispiele für Secondary Powers, links die benötigten Würfel, rechts der Effekt – auf der Rückseite ist der Charakter abgebildet

Für jeden Charakter gibt es dazu vier Karten, die jeweils eine per Würfel mögliche Sonderkraft (Secondary Powers) zeigen. Für die maximale Spielendenzahl von sechs gibt es auch eine doppelseitige Karte, die auf einer Seite die Sonderfähigkeiten und auf der anderen die Würfelsymbole erläutert. Diese Karten haben die Standardgröße von Poker- oder TCG-Karten. Mit Schutzhüllen würden diese allerdings nicht mehr in die vorgesehene Aussparung in der Spielschachtel passen.

Die Ortskarten dagegen strotzen mit einer Übergröße von 12,8 x 9 cm. Jeder Ort hat neben Namen auch einen Punktewert und eine Sonderregel, sowie eine kartengroße Illustration. Insgesamt 40 Orte sind im Spiel enthalten, wobei einer in jeder Partie vorkommt und dazu zufällige Orte in Spielendenzahl plus 1 ausgelegt werden. Bei Höchstbesetzung würde man so also „nur“ 8 Karten auslegen – Abwechslung ist also üppig gegeben.

Ein Pappbogen mit allen Charakteren erwartet uns

Des Weiteren enthalten sind Pappaufsteller für alle Charaktere. Statt zu sparen und nur für die maximale Spielendezahl Standfüße beizulegen, hat Hersteller Upper Deck für jede der vierzehn Pappfiguren (Charakter Falcon hat einen Begleiter, daher eine Figur mehr als Charaktere enthalten sind) Plastikfüße eingepackt – sehr gut.

Die Qualität des bisher genannten Spielmaterials weiß zu gefallen.

Der weitere Inhalt, abseits des Stanzbogens mit Helden und der Anleitung

Einzig die Anleitung und die Würfel fallen ab: Letztere sind zwar ausreichend groß, leider aber nur bedruckt und nicht graviert, wie es bei den meisten Spielen üblich ist. Die Anleitung präsentiert sich als quadratförmiges Faltblatt, ist nur mäßig strukturiert und erläutert auf einer ganzen Seite Begriffe, die vor allem auf den Fähigkeitskarten der Charaktere zu finden sind. Dort wäre jedoch ausnahmslos noch Platz gewesen, einige Begriffe zu erklären – hat man aber nicht. So wird, gerade in den ersten Zügen, häufig zur Anleitung gegriffen.

Spielablauf

Aufbau

Die Ortskarte Crystal Prison wird in die Mitte des Tisches gelegt. Danach werden von den 39 übrigen Orten so viele gezogen, wie Spielende teilnehmen plus 1. Diese Orte werden kreisförmig um das Crystal Prison ausgelegt.

Ein beispielhafter Aufbau für 5 Spielende

Alle Teilnehmer*innen suchen einen Charakter aus, erhalten dessen Karten und legen diese vor sich aus. Mittels Drehrad wird der Startwert an „PVP-Punkten“ auf der Charakterkarte eingestellt – dieser liegt, je nach Held, zwischen 7 und 9. Die jüngste Person beginnt, den Aufsteller des gewählten Charakters auf einen der ausliegenden Orte (außer dem Crystal Prison) zu stellen. Danach geht das Aufstellen reihum weiter, bis alle Helden irgendwo stehen. Diese Reihenfolge bleibt für den Verlauf des Spiels bestehen.

Spielrunde

Im eigenen Zug wirft man die sechs Würfel bis zu dreimal, ähnlich wie bei Kniffel oder King of Tokyo. Zwei bestimmte Symbole dürfen jedoch nicht neu geworfen werden. Nach dem würfeln werden die Würfel abgehandelt – teils freiwillig, teils erzwungen. Folgende Würferlseiten gibt es:

Die sechs Würfelseiten – obere Reihe Mutant, Science, Skill – untere Reihe Tech, Mystic, Cosmic
  • Mutant: kann nicht neu geworfen werden. Hat man drei oder mehr davon erwürfelt muss man ins Crystal Prison, wo man weder angreifen noch angegriffen werden kann. Zudem kann man dieses nur mit einem beliebigen Dreierpasch verlassen.
  • Science: kann ebenfalls nicht neu geworfen werden. Hat man drei hiervon erwürfelt, nimmt man selbst sowie allen anderen Charaktere am gleichen Ort einen Punkt PVP-Schaden. Für jeden weiteren Würfel dieser Art steigt der Schaden um einen weiteren Punkt.
  • Skill: Für jeden Würfel mit diesem Symbol kann man einem Charakter am gleichen Ort einen Punkt PVP-Schaden zufügen – quasi Nahkampf.
  • Tech: Für jeden Würfel mit diesem Symbol kann man einem Charakter an einem anderen Ort einen Punkt PVP-Schaden zufügen – quasi Fernkampf.
  • Mystic: Für jedes Würfelergebnis dieser Art erhält man einen PVP-Punkt.
  • Cosmic: Für Würfelergebnisse dieser Art kann man sich jeweils einmal bewegen – zu einem beliebigen Ort. Für jeden anderen Helden auf dem Ort, an dem man sich gerade befindet, benötigt man einen zusätzlichen Cosmic-Würfel.
Im laufendem Spiel

Generell erhält man, sobald man das erste Mal in einer Runde auf einen Ort kommt, den angegebenen Punktewert als PVP-Punkte. Diese Punkte stellen gleichzeitig Lebens- als auch Siegpunkte dar, was zum Beispiel gegenüber King of Tokyo potenziell ein endlos dauerndes Spiel möglich macht. In der Praxis ist dies aber nicht der Fall – denn nach Möglichkeit nutzen wir unsere Würfel statt für ihre normalen Effekte lieber für unsere Secondary Powers.

Ein Aufbau für 3 Spielende

Alle Charaktere haben derer vier – und für zwei bis vier spezifische Würfel können diese einmal je Runde aktiviert werden. Das Portfolio ist dabei umfangreich, mit einem Fokus auf Schaden. So gibt es beispielweise Attacken, die Helden auf anderen Orten satte 5 Schadenspunkte machen. Auch gibt es hier Zusatzeffekte, wie sich selbst bewegen, alle Helden an einem Ort (und teils auch benachbarten) treffen, Charaktere auf einen benachbarten Ort schieben oder für eine Runde lang am derzeitigen Ort festhalten.

Spielende

Gewonnen hat ein Held, wenn alle anderen Charaktere eliminiert wurden (in dem sie keine PVP-Punkte mehr haben), oder wenn man vor allen anderen 21 PVP-Punkte erreicht hat.

Strategie und Kritik

Was in der Theorie erstmal toll klingt erweist sich im Spiel als Debakel. Zwar erhält man die PVP-Punkte seiner Start-Location, allerdings sind dies auch nur 0 bis 3 Punkte – effektiv starten die Helden also mit 7 bis 12 Punkten. Da man aber mit einigen Attacken schon bis zu fünf Schaden austeilen kann, plus etwaige Einzelschaden durch Einzelwürfel, kann Platz 3 in der Reihenfolge der Spielenden schon das Ausscheiden bedeuten, bevor man auch nur einen einzigen Zug selbst gespielt hat.

Einige Secondary Powers sind ähnlich oder sogar identisch – wie dieser besonders starke Angriff

Dazu kommt, dass das Balancing zwischen den Charakteren nicht passt. So ist insbesondere die Fähigkeit Fliegend sehr stark: Mit dieser kann man auf die zusätzlichen Bewegungswürfel für andere Helden am eigenen Ort verzichten, und so mit realistischen drei Würfeln auch drei Orte besuchen – was, je nach zufälligem Setup, gerne mal 6 bis 9 Punkt einbringt. Mit einem Setup voller 0- und 1-Punkt-Orten ist dies natürlich kaum nützlich – da sind starke Angreifer eher im Vorteil.

Die Spitze des Unbalancings erreicht Captain America: Er gehört zu den Helden, die als Fähigkeit Survivor haben: Sinken ihre PVP-Punkte auf 0, erhalten sie einen extra Zug und scheiden nur aus wenn sei nach diesem Zug immer noch auf 0 sind. Als wäre es nicht eh realistisch, ausreichend Bewegung oder wenigstens einen Mystic-Würfel für einen PVP-Punkt zu würfen, hat der Captain als Primary Power noch den Effekt, dass er nach Wahl ein Mutant-, Cosmic- oder Msytic-Symbol zu seinem Wurf erhält. So ist bei ihm sichergestellt, dass er mindestens auf 1 PVP-Punkt kommt – was ihn unsterblich macht, bis er einer von zwei verbliebenden Helden ist, denn zumindest dann triggert Survivor nicht mehr.

Mit diesem Ergebnis fügen wir – dank Secondary Power – einem Helden an anderem Ort gleich 7 Schaden zu

Generell hat man das Gefühl, die Fähigkeiten und Powers wären zur Hälfte nach Zufall verteilt worden. Zusammen mit dem zufälligen Setup, was mal die einen, mal die anderen Charaktere bevorteilt, ergibt sich ein Balancing, was abgesehen davon dass es im Kern natürlich ein glückslastiges Würferlspiel ist, auch soweit die Spielgerechtigkeit verzerren kann dass es sich teils kaum lohnt überhaupt zu spielen, da das Ergebnis schon vorhersehbar ist.

Schade, denn die Sonderregeln der vielen Räumen mitsamt den einzigartigen Helden klang nach viel Potenzial. In unseren Runden lief es aber meist auf simples Eliminieren raus, oder ein Flieger flog jede Runde einfach alle punktstarken Orte ab – wobei zweiteres wesentlich seltener war.

Mit Hausregeln könnte das Spiel verbessert werden – beispielsweise mit einer Einschränkung von Fliegen und einer Begrenzung von Survivor auf ein oder zwei Nutzungen. Mit einer gleichmäßigeren Auslage der Punkt-Wertigkeit der Karten mitunter auch, oder Fernkampf und Bewegung begrenzt auf benachbarte statt beliebige Orte. Das mangelnde Balancing der Charaktere wird damit aber auch nur abgemildert, ebenso wie die Gleichsetzung von Sieg- und Lebenspunkten zu PVP-Punkten weiter besteht. Mehr als ein mäßiges, leidlich funktionierendes Spiel kommt auch damit kaum rum.

Daten & Sonstiges

Daten gemäß Angaben des Herausgebers:

  • Verlag: Upper Deck
  • Autor*in: Carmen Bellaire
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: Englisch
  • Spieleranzahl: 3 – 6
  • Alter: 12+
  • Spieldauer: 30 – 45 min
  • Preis: 39,99 USD

Es existieren keine Erweiterungen; die Anleitung gibt es online als PDF. Dank des Falt-Formats sind die obere Reihe quasi die Außenseite (beginnend mit der Rückseite), die untere Reihe der Innenteil mit dem man beim Lesen anfangen sollte.

Fazit

Black Widow und Guillotine verlieren an diesem Ort zu Beginn ihres Zuges 1 PVP-Punkt – freiwillig besucht man den Ort nicht

Was in der Theorie ebenso unterhaltsam und strategisch wie auch abwechslungsreich klingt entpuppt sich als spielerisches Debakel. Ein starkes Gefälle zwischen den Charakteren, zufälliges Setup was bestimmte Helden klar bevorzugt, und die Möglichkeit seine Mitspielenden schon auszuschalten bevor diese überhaupt erstmals zum Zug kommen – das ist schon fast rekordverdächtig schlecht. Mit einigen Hausregeln kann man einiges der Schwächen ausbügeln und es zu einem relativ funktionierendem Spiel machen, was im Idealfall wie eine regelgeilere Variante von King of Tokyo wirkt. Der Idealfall ist aber nicht der Normalfall, und eigentlich will man ja nicht unbedingt erstmal zig Regel-, Aufbau- und Charakteränderungen überlegen und umsetzen, nur um das Spiel soweit zu verändern dass es funktioniert. Wer aber Lust hat, damit zu experimentieren oder eh nicht viel Wert aufs Balancing legt könnte Spaß haben, zumal das enthaltene Material überwiegend gut ist – und das Spiel auch teils günstig für unter 25 EUR zu erhalten ist.

Titelbild-/Artikelbild: Upper Deck
Fotografien: Team Fresssack